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Unterausschuss des Verfassungsausschusses
18. August 1920
Sitzungsprotokoll (Lithographie )
AdR, BKA Inneres, Staatskanzlei, Karton 48, Zl. 102/78 ex 1920
Das Original befindet sich im Eigentum des Österreichischen Staatsarchivs unter der ÖStA-Signatur „AdR, BKA Inneres, Staatskanzlei, Karton 48, Zl. 102/78 ex 1920“. Die Verwendung des Digitalisats durch Dritte bedarf einer schriftlichen Bewilligung des ÖStA entsprechend der geltenden Benutzungsordnung.
e 1 der sechsten Sitzung des Unterausschusses des Verfassungsausschusses vom 18. August 1920. Beginn 2 Uhr Nachmittag. eresens: Abgserdaster Dr. Obto Rauer als Vorsitzeoder Eiden Zeil der Verhandlungen schate der Präsident korl Seiti ber. Abgeerdneter Sinen Abram Heinrich Clessin Dr. Robert Dennebers Jedck Fiak Korl beuthoer Stostssekretür Prof. Dr. Uichael Mayr. von der Stastskanzler: Urn. Ret Dr. Ceere Freehlich. Sekt.Ret Dr. Auge Jackl. Sekt.Rat Dr. Egbert Mannlicher. din. V. Sehr. Dr. Furt Frieberger als Schriftführer. Prof. Dr. Hans Kelsea als Experte des Verfassungsausschusses.
2 Der Vorsitzende verliest die von der Staatskanzlei vorgelegte Formulierung des
„Art. 13
(1) Wenn eine Angelegenheit nicht ausdrücklich durch die Bundes78) S. 143. 79) Vgl. Art. 42 Abs. 5 B.-VG. 80) S. 143 u. 162. 1) Heute Art. 15 B.-VG. Protokolle des Unterausschusses 306 verfassung der Gesetzgebung oder auch der Vollziehung des Bundes übertragen ist, verbleibt sie im Wirkungsbereich der Länder.
(2) Insoweit der Bundesgesetzgebung bloß die Regelung der Grundsätze vorbehalten ist, obliegt die nähere Ausführung der Landesgesetzgebung innerhalb des bundesgesetzlich festgelegten Rahmens. Das Bundesgesetz kann für die Erlassung der Ausführungsgesetze eine Frist bestimmen, die nicht kürzer als drei Monate und nicht länger als ein Jahr sein darf. Wird diese Frist von einer Landesgesetzgebung nicht eingehalten, so geht die Zuständigkeit zur Erlassung des Ausführungsgesetzes für dieses Land auf den Bund über.
(3) Soll ein Akt der vollziehenden Gewalt für mehrere Länder Rechtswirksamkeit äußern und ist in dem die Angelegenheit regelnden Bundesgesetz nicht ein anderer Vorgang vorgesehen, so geht die Zuständigkeit für diesen Akt der Vollziehung auf den Bund über.
(4) Die auf Grund der Artikel 11 und 12 zu erlassenden Bundesgesetze haben vorzusehen, ob und inwiefern über Antrag einer der beteiligten Landesregierungen der Vollzug auf den Bund übergeht, wenn ein Akt der vollziehenden Gewalt eines Landes Rückwirkungen auf ein anderes Land zu äußern geeignet ist, sofern sich die beteiligten Länder nicht einigen können.
(5) In Angelegenheiten die nach Art. 11 und 12 zur Gänze oder nur zur Regelung der Grundsätze der Bundesgesetzgebung vorbehalten sind, steht dem Bunde das Recht zu, die Einhaltung der von ihm erlassenen Vorschriften wahrzunehmen.«
Der Artikel wird in dieser Fassung angenommen, obwohl der Vorsitzende der Änsicht Ausdruck gibt, daß es legistisch richtiger wäre, den Artikel zu teilen; auf Befürwortung Dr. Seipels entscheidet sich der Unterausschuß aus politisch-taktischen Gründen für die ungeteilte Annahme.
Im Hinblick auf die vorausgegangene gestrige Besprechung betont Dr. Seipel, daß das gestern angemeldete Minoritätsvotum nicht in Form des Abs. 3 Art. 14 des Antrags Dr. Mayr (888 d. B.) zu fassen sei, vielmehr halte seine Partei am Wortlaute des Linzer Entwurfes fest.
Bei der folgenden Abstimmung über einen von der Staatskanzlei formulierten Artikel wird Abs. 1 unverändert angenommen, Abs. 2 ebenfalls, nur wird über Antrag des Abg. Fink nach dem Worte „innerhalb“ „acht Wochen“ eingesetzt. Abs. 4 des vorgelegten Entwurfes entfällt auf Grund der gestern gefaßten Beschlüsse während die Absätze 3 und 5 des Entwurfes in geänderter Form angenommen werden.
Der Artikel lautet nunmehr:
„(1) Ein Gesetzesbeschluß des Nationalrates kann, soweit nicht in diesem Artikel anderes bestimmt ist, nur dann kundgemacht werden, wenn der Bundesrat gegen diesen Beschluß keinen Einspruch erhoben hat. 82) Art. 42 B.-VG.
Der Einspruch muß dem Nationalrat innerhalb acht Wochen nach Einlangen des Gesetzesbeschlusses beim Bundesrat mitgeteilt werden und mit Gründen versehen sein.
(3) Wiederholt der Bundesrat seinen ursprünglichen Beschluß, so ist dieser zu beurkunden und kundzumachen. Beschließt der Bundesrat keinen Einspruch zu erheben oder wird innerhalb der im zweiten Absatz festgesetzten Frist kein mit Begründung versehener Einspruch erhoben, so ist der Gesetzesbeschluß zu beurkunden und kundzumachen.
(4) Die Bewilligung des Bundesvoranschlages und die Genehmigung der Rechnungsabschlüsse, die Aufnahme und Konvertierung von Bundesanleihen und die Verfügung über das Bundesvermögen sind ausschließlich Sache des Nationalrates.«
Hiebei erklärt es der Vorsitzende als unzweifelhaft, daß auch jedes Nachtragsbudget als Voranschlag bezeichnet werden kann.
Der Unterausschuß berät sodann die Festsetzung der Mitgliederzahl des Bundesrates 83). Die Fassung Dr. Mayrs erklärt Dr. Danneberg als unannehmbar vom Standpunkte seiner Partei; er bittet um prinzipielle Abstimmung über die einschlägigen Bestimmungen des sozialdemokratischen Verfassungsantrages. Hiegegen wendet sich jedoch unter Hinweis auf den beschränkten Wirkungskreis des Bundes Prof. Dr. Seipel. Abg. Clessin meint dem sozialdemokratischen Standpunkt bei Wahrung des föderalistischen Grundgedankens entgegenzukommen, indem er die Erhöhung der Grundzahl der Mandate eines Kronlandes von drei auf vier Stimmen beantragt. Die Zählung der Reststimmen wäre zu unterlassen. Im allgemeinen dürfe kein Land mehr als zwei Fünftel aller Stimmen besitzen.
Dr. Danneberg sieht in diesem Antrag eher eine Verschärfung der Gegensätze, da Vorarlberg im Bundesrat soviel Abgeordnete hätte als in der heutigen Nationalversammlung. Nach Anschauung seiner Partei bedeuten die drei Vertreter schon eine außerordentliche Begünstigung der kleinsten Länder gegenüber den größeren und namentlich gegenüber Wien. Er möchte unterscheiden: Eine Gruppe unter 400.000 Einwohnern: Vorarlberg, Salzburg, Tirol und das heutige Kärnten, wozu noch das Burgenland käme; eine Gruppe mit wesentlich höherer Einwohnerzahl: Oberösterreich mit dreimal so viel Einwohnern als Tirol, Steiermark mit noch 90.000 Einwohnern mehr und Niederösterreich, ohne Wien 1,000.000 Einwohner und Wien selbst mit 1,800.000 Einwohnern. Die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung sei in den Ländern grundverschieden. Die Bauernschaft habe allenthalben ihre gefestigte Position, während die übrigen Bevölkerungsklassen in Wien zusammengedrängt sind und sich höchstens noch in Niederösterreich und Steiermark zur Geltung bringen können. Der Proporz sollte auch innerhalb der Länder gewahrt bleiben. 83) Vgl. Art. 34 B.-VG. 20*
Dr. Seipel meint, daß die Zustimmung seiner Partei, auch wenn sie bereit wäre, den Vorschlag des Vorredners zu berücksichtigen beim Widerstande der Länder keinen Wert hätte.
Der Vorsitzende wendet gegen die befürchtete Majorisierung Wiens durch die Länder ein, daß davon nicht die Rede sein könne, da die Hauptstadt bestenfalls ein Viertel der Mandate erhalte. Wien hätte nicht einmal vier Vertreter mehr als Vorarlberg, obwohl es dreizehn mal mehr Einwohner zähle. Was die Trennung Wiens von Niederösterreich anlange, so wäre dieses administrativ sehr schwierige Problem einstweilen zurückzustellen 8). Wien und Niederösterreich wären wie bei der Vermögensabgabe als getrennt zu betrachten, die Durchführung der Trennung aber einem späteren Zeitpunkte vorzubehalten.
Prof. Dr. Kelsen schlägt vor, grundsätzlich am Proporzgedanken festzuhalten, bei Festsetzung der Ziffer aber mit dem größten Lande zu beginnen, die übrigen verhältnismäßig zu verteilen, wobei jedoch jedes Land mindestens drei Vertreter erhalten müßte. Abg. Fink meint, daß die Zahlen bei dieser Art der Bestimmung nach jeder Volkszählung variieren müßten. Der Vorsitzende gibt dies zu und bemerkt, daß sich dies nur vermeiden ließe, indem man die Zahl der Mandate in der Verfassung festlege, wasjedoch im Laufe der Zeit zu ähnlichen Ungerechtigkeiten führe, wie in der alt-österreichischen Delegation. Dort - 6 - war die Zahl der Vertreter jedes Kronlandes, wie Abg. Clessin erwähnt, auf Grund der Volkszählung von 1866 berechnet, so daß zuletzt Mähren noch immer mehr Delegierte absandte, als das mittlerweile weit dichter bevölkerte Niederösterreich.
Nachdem Dr. Seipel erklärt, daß seine Partei zustimme, sich aber die Formulierung für die nächste Sitzung vorbehalte, stellt der Vorsitzende fest:
„Es besteht Einverständnis über das Prinzip proportionaler Vertretung mit der Abweichung, daß keines der Länder weniger als drei, keines mehr als zwölf Mandate haben dürfe, während die Formulierung der nächsten Sitzung vorbehalten ist“
Der Unterausschuß behandelt weiters die Frage, ob die Wahl der Bundesratsmitglieder aus der Mitte der Landtage oder durch die Landtage erfolgen soll. Nach Stellungnahme des Staatsekretärs Dr. Mayr und der Abgeordneten Dr. Danneberg, Fink und Dr. Seipel führt Prof. Dr. Kelsen folgende Gründe für die Wahl aus der Mitte der Landtage an:
Dem Bundesrate sollen nur vom Volk gewählte Mitglieder angehören (indirekte Volkswahl);
es sollen nicht neue Organe geschaffen werden, die mangels sonstiger Betätigung, den Staat belasten; Heute Art. 108 B.-VG. 85) Dieser Grundsatz findet sich auch im Art. 34 B.-VG
die Mitglieder des Bundesrates sollen in enger Fühlung mit den Landesregierungen sein; die Landtage sollen gewissermaßen im Bundesrate an der Gesetzgebung mitwirken.
Während Abg. Clessin die Absicht Salzburgs erörtert keine Landtagsmitglieder zu entsenden, da diese zu sehr im Lande selbst beschäftigt seien und bei der intensiven Gesetzgebungsarbeit der Nationalversammlung ständig in Wien tagen müßten, sieht der Vorsitzende den -7 - Wert des Bundesrates vor allem darin, daß dortselbst die an der Entstehung der Gesetze mitwirken, die auch mit ihrer späteren Durchführung betraut sind.
Der Antrag, daß die Mitglieder des Bundesrates von den Landtagen „aus ihrer Mitte“ gewählt werden, wird darauf schließlich abgelehnt und Abs. 4 des Art. 26 (Linzer Entwurf) nach einem Zusatzantrage Dr. Dannebergs in folgender Fassung angenommen:
„(4) Die Mitglieder des Bundesrates und deren Ersatzmänner werden von den Landtagen nach dem Grundsatze der Verhältniswahl gewählt, daß jedenfalls eines der Mandate der zweitstärksten Partei zufallen muß“
Gegen den Zusatzantrag: „daß jedenfalls eines usw.“ meldet Abg. Dr. Seipel ein Minoritätsvotum an.
Als strittiger Punkt des Linzer Entwurfes gelangt hierauf Abs. 6 Art. 26 zur Beratung 87), gegen den sich Abg. Dr. Danneberg ausspricht. Der Vorsitzende hält jedoch eine derartige Festlegung einer Verfassungsbestimmung unter Hinweis auf ähnliche Fälle in der Verfassungsgesetzgebung der Vereinigten Staaten keineswegs für bedeutungslos. Während Prof. Kelsen befürchtet, daß die Starrheit sich auf die ganze Verfassung erstrecken könnte, verweist Dr. Seipel auf die Leichtigkeit, mit der die Verfassung durch den Nationalrat ohne Bundesrat und ohne Volksabstimmung geändert werden kann, und hält daher eine stärkere Garantie für diese föderalistischen Bestimmungen für unbedingt geboten. Während der Vorsitzende noch ausdrücklich feststellt, daß die Volksabstimmung in diesem Absatze abgelehnt wurde, möchte sie Dr. Seipel hier dennoch erhalten wissen und Abg. Clessin behält sich die Stellung eines diesbezüglichen Antrages gelegentlich der Beratung über die Volksabstimmung vor. Über seinen Antrag wird folgende Fassung des Absatzes 6 Art. 26 angenommen:
„Die Bestimmungen dieses Artikels können nur abge ändert werden, wenn die Änderung von der Mehrheit der Vertreter von wenigstens vier Ländern angenommen wird.“
Der Versuch einer endgültigen Formulierung des ganzen Artikels wird von der Staatskanzlei in der nächsten Sitzung vorgelegt.
Hinsichtlich der Geschäftsordnung wird über Antrag des Abgeordneten Clessin folgender Beschluß gefaßt: „Der Bundesrat gibt sich eine eigene Geschäftsordnung, seine Sitzungen sind öffentlich. Die Öffentlichkeit kann gemäß der Geschäftsordnung auf Beschluß des Bundesrates aufgehoben werden.“
Art. 28 des Linzer Entwurfes wird im Wortlaute angenommen, wobei jedoch die Frage der Funktion des Bundespräsidenten offen bleibt. Er lautet:
„(1) Der Bundesrat wird vom Bundespräsidenten alljährlich an den Sitz des Bundestages einberufen.
(2) Er faßt seine Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit der Anwesenden“)
(3) Die Sitzungen des Bundesrates sind öffentlich, doch kann die Öffentlichkeit auf Beschluß des Bundesrates aufgehoben werden. Die Bestimmungen des Art. 25 gelten auch für die öffentlichen Sitzungen des Bundesrates und seiner Ausschüsse.“
Der Unterausschuß berät sodann die Wahl und den Wirkungskreis des künftigen Bundespräsidenten, wobei Abg. Dr. Danneberg Bericht erstattet. Er gibt der Ansicht seiner Partei Ausdruck, daß der gegenwärtige Zustand nicht nur zulänglich sei, sondern sich auch als sehr nützlich erwiesen habe. Die Wahl eines eigenen Bundespräsidenten bedeute für unseren notleidenden Staat die Schaffung einer neuen besonderen Stelle. Was die Wahl durch das gesamte Bundesvolk anlange, so scheine sie sehr demokra 9tisch, beinhalte jedoch in unserem wenig konsolidierten Staatswesen die Gefahr monarchistischer Experimente. Abg. Clessin ist der Anschauung, daß der Bundespräsident vom Volke gewählt werden soll, damit er nicht nur eine Partei hinter sich habe, sondern eine tatsächliche Macht besitzt.
Der Vorsitzende weist daraufhin, daß wir den Gedanken der parlamentarischen Republik weiter geführt haben als sonst ein Staat. Wir stehen heute nicht mehr allein mit dieser Konstruktion; eine Reihe von deutschen Bundesstaaten u. a. Preußen sind diesem Beispiele gefolgt. Man muß berücksichtigen, daß schon die Wahl durch das Parlament dem Präsidenten wie in Frankreich und in der Tschechoslowakei eine sehr starke Stellung gibt; wird er vom Gesamtvolke gewählt, so überwiegt seine Macht, wie das Beispiel der Vereinigten Staaten erweist. Man möge auch die Abneigung der Bevölkerung gegen alles Zeremoniell in Rechnung ziehen.
Staatssekretär Dr. Mayr und Abg. Dr. Seipel finden allerdings den gegenwärtigen Wirkungskreis als etwas zu gering für einen besonderen Bundespräsidenten, doch meint letzterer, daß bei jetzigen Gepflogenheit, nach der ein Mitglied der stärksten Partei Präsident wird, dieser einerseits seiner Partei entzogen wird, andererseits durch seine parteipolitische Tätigkeit überaus stark belastet wird. Nach der Vorstellung unserer Bevölkerung sollte der Präsident dem Parteigetriebe entzogen sein. Schon die Führung der formalen Geschäfte im Hause der Nationalversammlung und die Funktion als Ordner bei den Sitzungen widerspricht der Würde eines Präsidenten. Die Wahl müßte ganz anders durchgeführt werden als sonstige Wahlen.
Abg. Leuthner hält eine besondere Wahl für 10- den schlechtesten Weg um eine Person zu suchen, die nicht im politischen Leben steht.
Der Unterausschuß entscheidet sich auf Grund prinzipieller Abstimmung dafür, daß ein besonderer Bundespräsident gewählt werden soll.
Der Vorsitzende warnt nochmals vor Einführung der Volkswahl und kündigt im Namen seiner Partei beschränkende Bestimmungen hinsichtlich des passiven Wahlrechtes eines vom Volke gewählten Präsidenten an, so müßte die Familie Habsburg, müßten Generale und Öffiziere von der Wählbarkeit ausgeschlossen sein. Da er nochmals darauf aufmerksam macht, daß die jetzige Kompetenz zu gering sei, für eine mit so großem Apparat gewählte Persönlichkeit, wird über Antrag des Abg. Fink zuerst der Wirkungskreis des Bundespräsidenten besprochen.
Abg. Dr. Danneberg referiert hierauf über die einschlägigen Artikel des Linzer Entwurfes 22) und berücksichtigt hiebei auch die Forderungen der anderen Parteien. Die Bestimmungen des großdeutschen Entwurfes, nach denen der Bundespräsident den Oberbefehl zu führen hätte, mit Zustimmung des Bundestages den Krieg zu erklären und auf Grund eines Volksentscheides Frieden zu schließen hätte, werden ebenso abgelehnt wie Artikel 63 des großdeutschen Entwurfes 93), sodaß der Unterausschuß die übereinstimmenden Anträge der christlichsozialen und sozialdemokratischen Entwürfe in Beratung zieht. Art. 54 des Linzer Entwurfes wird hierauf absatzweise besprochen und zur Abstimmung gebracht. Abs. 1 wird unverändert angenommen; zu Abs. 2 bemerkt Min.Rat Dr. Froehlich erläuternd, daß unter „Bundesfunktionären“9 der Präsident des Patentamtes, staatliche Kommissäre, ein etwaiger Präsident der Akademie der Wissenschaften oder einer staatlichen Bank zu verstehen wären.
11Präsident Seitz stellt hier bereits einen Unterschied fest, da nach der heutigen Textierung der Präsident nicht alle Bundesangestellten, sondern nur die von der VI. Rangklasse aufwärts ernennt. Nach dem Wortlaute des Linzer Entwurfes wäre es angezeigt, daß der Präsident gemäß Art. 55 das Ernennungsrecht für die niedrigen Beamten überträgt. doch kann er es, wenn er will, auch selbst ausüben. Eine schwierige Interpretationsfrage ergibt sich auch aus der Befugnis zur Schaffung von Amts- und Berufstiteln. Auf diesem Gebiete stellen die Staatsämter ganz besondere Forderungen nach Schaffung neuer Titel, z. B. Gestütsrat, Obergestütsrat, Obermagazineur u. a. Der derzeitige Präsident habe die Schaffung des Titels dem Staatsamte überlassen und den zum Gestütsrat Vorgeschlagenen nur zum Beamten der VI. Rangsklasse ernannt.
Staatssekretär Dr. Mayr fände es gut, wenn diese Agenden konzentriert wären.
Bei Erörterung des Begnadigungsrechtes hebt Präsident Seitz die Notwendigkeit hervor, auch die Begnadigung in Sachen des Disziplinarstrafverfahrens zu regeln.
Min.-Rat Dr. Froehlich findet dieses Recht durch die Bestimmung des Abs. 3 „sonstige Befugnisse in Personalangelegenheiten“ gedeckt 93) man müsse wegen der Schwierigkeit einer taxativen Aufzählung solche Fragen durch Sondergesetzgebung regeln. Auch Prof. Kelsen ist der Anschauung, daß dies in dem so dringend nötigen Polizeistrafverfahrensgesetze zu regeln wäre. Es gehe nicht an, den Präsidenten mit solchen geringfügigen Fällen zu belasten; das Begnadigungsrecht könne ebensogut von der obersten ressortmäßigen Stelle ausgeübt werden.
22 Im Abs. 4 beanstanden die sozialdemokratischen Vertreter die Wiedereinführung des Titels „Minister“ und sprechen sich für Beibehaltung der Bezeichnung „Staatssekretär aus.
Präsident Seitz macht auch auf die Frage der Urlaubserteilung an die Präsidenten der höchsten Gerichte und des Staatsrechnungshofes aufmerksam, da diese Funktionäre Wert darauf legen, ihre Unabhängigkeit von der Regierung zu betonen. Min.-Rat Dr. Froehlich meint, daß derlei ebenfalls unter „Befugnisse in Personalangelegenheiten“ zu verstehen sei, da ausführlichere Einzelbestimmungen die Verfassung zu sehr belasten würden.
Der Unterausschuß nimmt hierauf die Artikel 54, 55, 56, 57 im Wortlaute des Linzer Entwurfes an. Desgleichen wird Artikel 53 ohne Anderung angenommen “). In Art. 51 ist im ersten Absatze anstatt „Bundestage“ „Nationalrate“ zu setzen; im übrigen wird der Artikel unter Streichung des Wortes „Österreich“ im zweiten Absatze (Gelöbnisformel) angenommen.
Im Art. 52 ist anstatt des „Bundestages“ „der Bundesversammlung zu setzen. Der erste Absatz dieses Artikels wird angenommen, der zweite Absatz über Antrag des Abgeordneten Fink gestrichen.
Präsident Seitz erwähnt, daß wiederholt die Rede ist vom „Vorschlage der Staatsregierung“. In der gegenwärtigen Verfassung ist entweder der Ausdruck „Gesamtregierung“ oder „Staatsregierung“ gewählt. Ist von Staatsregierung die Rede, so haben wiederholt einzelne Staatssekretäre Vorschläge erstattet, während es bei „Gesamtregierung“ klar war, daß ein Beschluß des Kabinettsrates erforderlich ist. In der neuen Verfassung wäre größere Klarheit erwünscht.
13Min.-Rat Dr. Froehlich: Nach dem Gesetz über die Staatsregierung ist unter Staatsregierung dasselbe wie unter Gesamtregierung zu verstehen. Leider ist im Art. 14 des Gesetzes über die Volksvertretung ein Redaktionsfehler unterlaufen, indem dort von der „gesamten Staatsregierung“ die Rede ist. Daraus ist zu folgern versucht worden, daß unter Staatsregierung nicht die Gesamtregierung zu verstehen sei.
In den altösterreichischen Gesetzen ist unter der Regierung nicht die Gesamtregierung verstanden worden, sondern der einzelne Minister, also ein Organ der Regierung. Daraus leitet sich die Fakultät einzelner Ministerien ab, auf Grund des Ermächtigungsgesetzes Verordnungen Vollzugsanweisungen zu erlassen.
Präsident Seitz mißt dem besondere Bedeutung bei, da sehr viele Vorschläge einzelner Staatssekretäre einlaufen und zwar im Verfolg der Praxis, die in Altösterreich bestanden. Der einzelne Staatssekretär betrachtet sich als Nachfolger des früheren Ministers. Öhne Rücksicht darauf, ob es praktisch ist, jeden Vorschlag von der Gesamtregierung erstatten zu lassen, müsse dies doch an irgend einer Stelle genau umschrieben werden. Allerdings wäre es eine schwere Belastung für den Kabinettsri und die Verlesung der zahlreichen Vorschläge würde zu einer Formalität herabsinken.
Der Vorsitzende findet, daß mit den Worten „oder des von dieser hiezu ermächtigten zuständigen Bundesministers“ in Abs. 4 des Art. 55 hinreichende Klarheit geschaffen sei.
Nachdem nunmehr der Wirkungskreis des Bundespräsidenten festgestellt ist, erklärt Prof. Dr. Seipel, daß er zwar prinzipiell für die Volksabstimmung sei, aber mit Rücksicht auf die Kompetenz des Präsidenten davon ab -14 stehen könne. Der Unterausschuß beschließt hierauf nach einem Referate Dr. Dannebergs, daß der Präsident durch Zusammentretung des Bundesrates und des Bundestages (Nationalrates) gewählt wird.
Zwecks Vermeidung der Unklarheit, die durch den Gleichklang der Worte Bundestag und Bundesrat entsteht, beschließt der Unterausschuß nach längerer Wechselrede, an der sich Staatssekretär Dr. Mayr, die Abgeordneten Fink und Seipel sowie Prof. Dr. Kelsen beteiligen, den Namen Bundesrat beizubehalten, jedoch die aus dem Gesamtvolke gewählte Körperschaft nicht Bundestag, sondern „Nationalrat“9) zu benennen.
Bei Beratung des zweiten Abschnittes des Linzer Entwurfes: „Von der Gesetzgebung des Bundes — der Nationalrat“, wird Art. 15 in folgendem Wortlaut angenommen: „Die gesetzgebende Gewalt des Bundes übt der vom ganzen Bundesvolk gewählte Nationalrat gemeinsam mit dem von den Landtagen gewählten Bundesrate aus“ 98).
Art. 16 wird ebenfalls im Wortlaute des Linzer Entwurfes mit Abänderung des Wortes Bundestag in Nationalrat angenommen, jedoch melden die sozialdemokratischen Abgeordneten gegen den zweiten Absatz ein Minoritäsvotum an.
Zur Besprechung des Wirkungskreises der Bundesversammlung wählt Dr. Danneberg als Grundlage den Art. 70 des Entwurfes Dr. Renners, wobei Abg. Dr. Seipel darauf aufmerksam macht, daß bei den Linzer Beratungen von einer „Bundesversammlung“ noch nicht die Rede gewesen sei, sodaß seine Partei erst jetzt hiezu Stellung nehmen könne. Die Fassung des Abs. 1 Punkt 1 wird in folgender Formulierung angenommen:
„Nationalrat und Bundesrat treten zu gemeinsamer Sitzung an dem Sitze des Nationalrates zusammen:
1. zur Wahl des Bundespräsidenten und dessen Angelobung“ 9e
-13 Da sich, wie Abg. Dr. Seipel betont, die Wahl des Bundespräsidenten von jeder anderen Wahl unterscheiden soll, wird Punkt 2 des Art. 70 (Dr. Renner) gestrichen. Die Wahl des Präsidenten des Staatsrechnungshofes hier zu erwähnen, erklärt Abg. Fink als unnötig, da es in Art. 99 des Linzer Entwurfes heißt: Der Rechnungshof untersteht unmittelbar dem Bundesrate und dem Nationalrate. Der Präsident wird vom Nationalrate gewählt, die Wahl bedarf der Genehmigung des Bundesrates. Dies wird als genügend befunden.
In weiterer Erörterung des Renner’schen Entwurfes erklärt Dr. Seipel, daß die Kriegserklärung aus optischen Gründen möglichst zu erschweren sei. Immerhin bedarf die Frage einer Regelung in der Verfassung. Der Unterausschuß nimmt daraufhin den prinzipiellen Antrag an, daß die Bundesversammlung zur Beschlußfassung über die Kriegserklärung kompetent sei.
Die Frage der Öffentlichkeit der Verhandlungen der Bundesversammlung ist laut Beschluß des Unterausschusses wie beim Bundesrate zu regeln. Ferner wird beschlossen: Der Nationalrat und der Bundesrat beraten die zu entscheidenden Dinge gesondert und treten bloß zum Zwecke der Abstimmung zusammen.
Die Staatskanzlei wird ersucht, die Formulierung über folgende Fragen vorzulegen: Wer beruft die Bundesversammlung ein? Sind die Beratungen öffentlich? Geschäftsordnung (etwa des Nationalrates) abwechselnder Vorsitz der beiden Präsidenten. Die Einberufung erfolgt für den Fall der Wahl durch den Bundeskanzler, für den Fall der Abberufung oder einer Verfolgung des Präsidenten müßte die Einberufung auf Beschluß eines der beiden Häuser, im Falle der Kriegserklärung über Antrag des Bundesdespräsidenten erfolgen.
16- Der Vorschlag des Berichterstatters Dr. Danneberg, die Wahl des Bundespräsidenten im Sinne des Art. 71 des Antrags Dr. Renner zu regeln, wird abgelehnt. Angenommen wird die Fassung des Art. 49 (Linzer Entwurf):
„(1) Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gewählt.
(2) Sein Amt dauert ... Jahre. Einmalige Wiederwahl ist zulässig.
Die Zahl der Jahre bleibt über Antrag Dr. Dannebergs offen; über seinen Antrag wird das Wort „einmalige“ vor Wiederwahl eingeschaltet.
Die Voraussetzungen des passiven Wahlrechtes wird die Staatskanzlei bis zur nächsten Sitzung formulieren, eine Fassung über den Ausschluß der Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen von der Wählbarkeit zum Bundespräsidenten wird Dr. Danneberg vorlegen.
bs. 5 des Art. 49 wird gestrichen.
Die Staatskanzlei wird ferner ersucht, die Frage der Wahl (Majoritätsprinzip, System der mehreren Wahlgänge?) in einem Entwurfe zu behandeln.
Art. 50 wird in der Fassung des Linzer Entwurfes angenommen.
Da Abg. Dr. Eisler das Referat über die Frage des Verhältnisses zwischen Ländern und Gemeinde und über die Verwaltungsreform niedergelegt hat, wird über Vorschlag des Vorsitzenden Abg. Abram mit dem Referate für die nächste Sitzung betraut. Die nächste Sitzung findet Freitag, den 20. August, 10 Uhr Vormittag statt.