Falser, Stephan
18. Dezember 1919
Verfassungsentwurf (Lithographie )
AdR, BKA Inneres, Staatskanzlei, Karton 250, Mappe 3.
Das Original befindet sich im Eigentum des Österreichischen Staatsarchivs unter der ÖStA-Signatur „AdR, BKA Inneres, Staatskanzlei, Karton 250, Mappe 3.“. Die Verwendung des Digitalisats durch Dritte bedarf einer schriftlichen Bewilligung des ÖStA entsprechend der geltenden Benutzungsordnung.
Die Länder Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, und Vorarlberg und Westungarn in ihren durch den Friedensvertrag (Staatsgesetzblatt Z. ex 191) festgestellten Grenzen und die freie Stadt Wien schließen sich auf Grund der rechtsgiltigen Beschlüsse ihrer Landesvertretungen und des Wiener Gemeinderates, sowie der Nationalversammlung der Republik Deutschösterreich zu einem ewigen Bunde mit den Namen Republik der deutschen Alpenlande oder Republik Oesterreich und mit der Bundeshauptstadt Wien zusammen. Beide Namen sind in allen von den Bundes- und Landesbehörden ausgehenden oder von ihnen zu unterfertigenden Erlässen, Kundmachungen, Entscheidungen und Verträgen abwechselnd mit gleicher Rechtswirkung zu gebrauchen.
Die Selbständigkeit jedes Bundesgliedes bleibt gewahrt und wird vom Bunde gewährleistet, insoweit sie nicht durch die Bundesverfassung oder durch auf Grund dieser Verfassung zu erlassende Bundesgesetze beschränkt ist oder beschränkt wird.
Der Bund schützt sein Gebiet und das Gebiet seiner Glieder vor Angriffen von Aussen; er ist verpflichtet, über Ersuchen der Landesregierungen zur Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung im Innern Bundeshilfe zu gewähren.23
- 2 -Auch ohne solches Ersuchen kann die Bundesgewalt gegen Störungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung innerhalb des Gebietes eines oder mehrerer der Bundesglieder einschreiten, wenn die Landesregierung außer Stande ist, die Unruhen zu unterdrücken, oder wenn zu befürchten ist, daß sie auf das Gebiet anderer Bundesglieder übergreifen.
Zum Zwecke der Erfüllung der im Art. III enthaltenen Aufgaben wird ein Bundesheer aufgestellt, das unter dem militärischen Befehle des Bundesfeldherrn steht, der der Bundesregierung unterstellt ist.
Die Kriegs- und Friedensstärke des Heeres innerhalb der durch den Friedensvertrag vom gezogenen Grenzen, die Art der Ausbildung und die Gliederung des Heeres bestimmt die Bundesgesetzgebung.
Dem Bunde obliegt der Schutz und die für die Sicherung der Bundesgrenzen erforderliche Grenzbefestigung.
Die Aufteilung der Truppenmacht nach den verschiedenen Waffengattungen auf die einzelnen Bundesglieder ist ebenfalls Sache des Bundes; die Aufbringung, Ausrüstung und Verpflegung der auf diese entfallenden Mannschaften, Offiziere und Unteroffiziere obliegt den Bundesgliedern.
Insoferne der Grenzschutz erhöhte Auslagen für das einzelne Bundesglied bedingt, steht diesem ein Anspruch auf Ersatz gegenüber dem Bunde zu.
Die Verwendung der von den einzelnen Bundesgliedern aufgebrachten Truppen, Offiziere und Unteroffiziere außerhalb ihrer Grenzen ist nur in den Fällen des Art. III und bei militärischen Uebungen zulässig.
24
Jedes Bundesmitglied hat zur Aufrechthaltung der Ruhe und Sicherheit innerhalb seiner Gebietsgrenzen eine Landjägertruppe aufzustellen und auf eigene Kosten zu erhalten. Die Größe der Landjägertruppe wird nach der Zahl der Bewohner für jedes Bundesmitglied in der Art bemessen, daß auf je 500 Einwohner (nach der jeweilig letzten Volkszählung) wenigstens ein Mann entfällt. Die Festsetzung der Bedingungen der Aufnahme, die Ausbildung und Gliederung dieser Truppe ist Sache der Bundesglieder.
Im Falle der Abwehr feindlicher Angriffe von Aussen sind die Landjägertruppen sämtlicher Bundesglieder der Militärgewalt des Bundes (Art. IV) unterstellt; im Falle des Einschreitens der Bundesgewalt zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung innerhalb des Gebietes eines oder mehrerer Bundesglieder ist die Landjägertruppe des davon betroffenen Landes (der Bundeshauptstadt) dem Bunde und dem vom Bunde bestellten Oberbefehlshaber unterstellt.
Die Bundesglieder sind verpflichtet, ihre Verfassungen der Bundesgewalt mitzuteilen und um die Uebernahme der bundesstaatlichen Gewährleistung nachzusuchen (Art. II).
Der Bund übernimmt die Gewährleistung, wenn die Verfassung nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthält, wenn sie die Ausübung der politischen Rechte nach den Grundsätzen der Rechtsgleichheit Aller vor dem Gesetze sichert, wenn sie in allgemeiner Volksabstimmung angenommen worden ist und wenn sie die Möglichkeit ihrer Aenderung über Antrag von höchstens einem Drittel der stimmberechtigten Bürger vorsieht.
Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist unverletzlich. Niemand darf zur Teilnahme an einer Religionsgesellschaft oder an einem 25
- 4 -religiösen Unterrichte oder zur Vornahme einer religiösen Handlung gezwungen werden.
Ueber die religiöse Erziehung der Kinder verfügt bis zum vollendeten 16. Lebensjahre der Inhaber der väterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt.
Die öffentlichen Unterrichtsanstalten sind den Angehörigen aller Religionsgesellschaften ohne Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit zugänglich.
Niemand ist gehalten Abgaben zu leisten, welche für Kultuszwecke einer Religionsgesellschaft, der er nicht angehört, auferlegt werden.
Die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen ist innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet.
Jede Religionsgesellschaft ordnet innerhalb der gesetzlichen Schranken ihre Angelegenheiten selbständig.
Die Pressfreiheit ist gewährleistet; durch ein Bundesgesetz sind Bestimmungen gegen den Mißbrauch dieses Rechtes zu treffen.
Die Bürger haben das Recht, Vereine zu bilden, soferne diese weder in ihren Zwecken noch in den Mitteln rechtswidrig oder staatsgefährlich sind. Ueber den Mißbrauch dieses Rechtes und über das Versammlungsrecht trifft die Bundesgesetzgebung die notwendigen Bestimmungen.
Niemand darf seinem verfassungsmässigen Richter entzogen werden; es dürfen keine Ausnahmegerichte eingeführt werden.
Die Militärgerichtsbarkeit bleibt nur für rein militärische Vergehen bestehen und ist durch Bundesgesetz zu regeln. 26
Alle Bundesglieder sind verpflichtet, die Angehörigen des Bundesstaates sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Verwaltung und vor den Gerichten ohne Rücksicht auf ihre Landes- und Gemeindezuständigkeit den eigenen Angehörigen gleichzustellen. Die Freizügigkeit ist allen Angehörigen des Bundes[s]taates innerhalb seiner Grenzen gewährleistet. Niemand kann in mehr als einem Gebiete eines Bundesgliedes politische Rechte ausüben.
Die Freiheit des Handels und der Gewerbe ist im ganzen Umfange des Bundesstaates gewährleistet, soweit nicht Bundesgesetze oder auf Grund von Bundesgesetzen erlassene Verordnungen eine Einschränkung bedingen.
In die Zuständigkeit des Bundes fallen:
In Angelegenheiten, welche zur Zuständigkeit der Gesetzgebung der Bundesglieder gehören, kann diese die zur Regelung des Gegenstandes erforderlichen Bestimmungen auch auf dem Gebiete der Strafjustiz- und Polizeistraf- sowie der Zivilgesetzgebung treffen.
Die Landesregierungen sind verpflichtet, alle Gesetzesbeschlüsse der Landtage vor ihrer Kundmachung der Staatsregierung mitzuteilen; die gleiche Pflicht obliegt dem Stadtrate der Bundeshauptstadt Wien im Betreffe der Gesetzesbeschlüsse des Gemeinderates.
Hat die Staatsregierung gegen einen solchen Beschluß Bedenken, so kann sie gegen ihn binnen 14 Tagen nach Einlangen der Mitteilung bei der gesetzgebenden Körperschaft des Bundesgliedes in Wege der Landesregierung Vorstellung erheben. Vor Ablauf dieser Frist kann das Landesgesetz ohne Zustimmung der Staatsregierung nicht kundgemacht werden. Beschließt der Landtag (der Wiener Gemeinderat) auf dem ursprünglichen Beschlusse zu beharren, so hat dessen Kundmachung durch die Landesregierung zu erfolgen.
Gesetz[es]beschlüsse der Landtage oder des Wiener Gemeinderates können wegen Verfassungswidrigkeit (Art. VI bis XIV) von der Staatsregierung binnen 14 Tagen nach Einlangen der Mitteilung, und wenn gegen diese Beschlüsse im Sinne des Art. XVI zunächst eine Vorstellung erhoben worden ist, nach Ablauf weiterer 14 Tage beim Verfassungsgerichtshofe angefochten werden; diese Anfechtung ist der Landesregierung unverzüglich auf dem kürzesten Wege mitzuteilen. Die Kundmachung des angefochtenen Beschlusses darf erst erfolgen, wenn der Gerichtshof dessen Verfassungsmässigkeit anerkannt hat; der 30 - 9 -Verfassungsgerichtshof hat binnen Monatsfrist das Erkenntnis zu fällen, widrigens die Kundmachung des angefochtenen Gesetzesbeschlusses mit einstweiliger voller Rechtswirkung erfolgen kann.
Das gleiche Anfechtungsrecht wegen Verfassungswidrigkeit der Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse steht auch den Landtagen (dem Wiener Gemeinderat) und wenn diese nicht versammelt sind, den Landesräten (dem Wiener Stadtrate) zu.
Der Bund wird vertreten
a). Die Bundesversammlung besteht aus den von allen zu den Landtagen und zum Gemeinderate der Bundeshauptstadt Wien Wahlberechtigten nach dem Verhältniswahlverfahren gewählten Abgeordneten. Die Einteilung der Wahlkreise unter Wahrung der Gebietsgrenzen der einzelnen Bundesglieder und das Wahlverfahren wird durch besonderes Gesetz, das einen Bestandteil der Bundesverfassung bildet, geregelt.
Die Anzahl der aus jedem Wahlkreise zur Bundesversammlung zu wählenden Abgeordneten richtet sich nach der Anzahl der Bewohner zur Zeit der jeweilig letzten Volkszählung, wobei es auf je 50.000 Einwohner einen Abgeordneten trifft. Bruchteile bis einschließlich zehntausend Einwohnern bleiben unberücksichtigt, Bruchteile von zehntausend und darüber zählen für voll.
b). Das Ständehaus besteht aus den von den Landtagen und dem Gemeinderate der Bundeshauptstadt Wien gewählten Vertretern der Bundesglieder; jedes Bundesglied entsendet in das Ständehaus zehn Vertreter; die Vertretung kann nicht widerrufen werden; für ausscheidende Vertreter ist sobald als möglich eine Nachwahl durchzufüh-31- 10 -ren. Die Art der Wahl und die Voraussetzungen der Wählbarkeit bestimmt die Landesgesetzgebung.
Im Ständehause hat jedes Bundesglied eine Stimme; diese Stimme wird nach der einfachen Mehrheit seiner Vertreter ermittelt; Stimmengleichheit bedingt Stimmenthaltung für das betreffende Bundesglied.
Die Bundesversammlung und das Ständehaus werden auf sechs Jahre gewählt. Sinkt aber die Zahl der Mitglieder einer dieser Körperschaften bis auf die Hälfte seiner gesetzmässigen Anzahl, so sind in beiden Körperschaften Neuwahlen durchzuführen; die Amtsdauer der neugewählten Vertretungen beträgt wieder sechs Jahre.
Der Beginn der Amtsdauer wird in allen Fällen vom Tage des ersten Zusammentrittes der Bundesversammlung gerechnet.
Wenn fünf Bundesglieder durch ihre Vertretung (Landtag, Gemeinderat der Stadt Wien) es verlangen, hat die Bundesregierung die Bundesversammlung und das Ständehaus aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben.
Bundesgesetze kommen durch den übereinstimmenden Beschluß der Bundesversammlung und des Ständehauses zusammen; die Feststellung der Voranschläge des Bundeshaushaltes, die Prüfung der Staatsrechnungsabschlüsse und die Erteilung der Entlastung, die Aufnahme von Bundesanlehen, die Umwandlung der bestehenden Staatsschulden, die Verwaltung, Veräußerung oder Belastung des Bundesvermögens und die Gesetzgebung über Steuern, Abgaben und Gefälle (diese in den Schranken des Art. XIV, Z.4) steht ausschliessend der Bundesversammlung zu. 32 - 11 -
Zu einem giltigen Beschlusse ist in beiden Vertretungskörpern des Bundes die einfache Mehrheit der in beschlußfähiger Anzahl anwesenden Mitglieder erfordert, insoferne nicht die Gesetze abweichende Bestimmungen treffen.
Die Beschlußfähigkeit der Bundesversammlung richtet sich nach dem für den Staat Deutschösterreich beschlossenen Gesetze vom 5. März 1919, St. G. Bl. Nr. 162.
Die Beschlußfähigkeit des Ständehauses ist gegeben, wenn wenigstens vier Bundesglieder an der Abstimmung teilnehmen.
Abgelehnte Anträge können erst nach Durchführung allgemeiner Neuwahlen wieder eingebracht werden.
Die Bundesversammlung und das Ständehaus versammeln sich jährlich einmal zur ordentlichen Sitzung an einem durch die Geschäftsordnung festzusetzenden Tage; sie geben sich selbst Geschäftsordnungen, die mit einfacher Mehrheit der in beschlußfähiger Anzahl anwesenden Mitglieder beschlossen werden, die aber nur mit zwei Drittel Mehrheit abgeändert werden können.
Zu außerordentlichen Tagungen sind Bundesversammlung und Ständehaus durch Beschluß des Bundesrates einzuberufen; die Einberufung muß erfolgen, wenn ein Viertel der Mitglieder der Bundesversammlung oder drei Bundesglieder es verlangen.
Bundesgesetze, sowie allgemein verbindliche Bundesbeschlüsse sind dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorzulegen, wenn es von fünfzigtausend Bundesbürgern oder von drei Bundesgliedern verlangt wird.33
- 12Die Durchführung der Volksabstimmung und die Frist zur Einbringung dieses Verlangens wird durch Bundesgesetz geregelt.
Die Sitzungen der Bundesversammlung und des Ständehauses sind in der Regel öffentlich.
Die oberste vollziehende und leitende Verwaltungsbehörde des Bundesstaates ist der Bundesrat, der aus Mitgliedern besteht. Die Mitglieder werden von der Bundesversammlung aus allen in die Bundesversammlung wählbaren Bürgern, auf die Dauer von 3 Jahren ernannt. Nach jeder Gesamterneuerung der Bundesversammlung wird auch der Bundesrat erneuert; die in der Zwischenzeit frei gewordenen Stellen werden bei der nächstfolgenden Tagung der Bundesversammlung für den Rest der Amtsdauer wieder besetzt.
Die Mitglieder des Bundesrates dürfen keine andere dienstliche Stellung, sei es im Dienste des Bundesstaates, sei es im Dienste eines der Bundesglieder bekleiden, noch irgend einen anderen Beruf oder ein Gewerbe ausüben.
Den Vorsitz im Bundesrate führt der Bundespräsident, der aus seinen Mitgliedern von der Bundesversammlung für die Dauer von 3 Jahren gewählt wird; das gleiche gilt für die Wahl seines Stellvertreters im Vorsitze. Um giltig verhandeln und beschliessen zu können, ist die Anwesenheit von wenigstens Mitgliedern des Bundesrates notwendig.
Die Mitglieder des Bundesrates beziehen einen jährlichen Gehalt aus der Bundeskasse.34
Die Mitglieder des Bundesrates haben bei den Verhandlungen der Bundesversammlung und des Ständehauses beratende Stimme und auch das Recht, über einen zur Beratung gestellten Gegenstand Anträge zu stellen.
Der Bundesrat hat insbesondere folgende Befugnisse und Pflichten:
Für seine gesamte Amtsführung ist er der Bundesversammlung verantwortlich.
Die Geschäfte des Bundesrates werden unter die einzelnen Mitglieder durch Beschluß des Bundesrates verteilt; der Bundesrat und seine Geschäftsabteilungen sind befugt, für einzelne Angelegenheiten Sachverständige ihrer Wahl beizuziehen.
Zur Erledigung aller Geschäfte des Bundesrates ist ihm die Bundeskanzlei beigegeben, die unter Aufsicht des dem Bundesrate verantwortlichen Bundeskanzlers die ihr übertragenen Geschäfte zu erledigen hat.
Der Vorstand der Bundeskanzlei (Bundeskanzler) wird von der Bundesversammlung auf die Dauer von 3 Jahren gleichzeitig mit dem Bundesrate gewählt.
Die im Kaiserstaate Oesterreich im Zeitpunkte der Einführung der Republik in Geltung gestandenen Gesetze und die auf gesetzlicher Grundlage erlassenen Verordnungen der k.k. Behörden, dann die seit Einführung der republikanischen Staatsform in Kraft getretenen Gesetze und auf gesetzlicher Grundlage erlassenen Verordnungen der Behörden der Republik Deutschösterreich werden als geltendes Recht des Bundesstaates und seiner Gliedstaaten übernommen, insoweit diese Bundesverfassung nichts gegenteiliges enthält; die Aenderung der verfassungsmäßigen Zuständigkeit auf dem Gebiete der Gesetz-36- 15 -gebung und Verwaltung, berührt die Fortdauer der Giltigkeit der vorstehend erwähnten Gesetze und Verordnungen nicht.
Zur Aenderung der Bestimmungen dieser Bundesverfassung ist erforderlich
Jeder zu den Wahlen in die Landtage (den Wiener Gemeinderat) Wahlberechtigte hat eine Stimme.
Ein Bundesgesetz wird die näheren Bestimmungen über die Durchführung dieser Wahl und die Art der Fragestellung regeln.
Innerhalb der ersten drei Jahre nach Beginn der Wirksamkeit dieser Bundesverfassung kann ein Abänderungsantrag im Sinne des Art. XXXVI nicht zum Beschluss erhoben werden; nach Ablauf dieser Frist ist jedenfalls ohne Rücksicht auf die Bestimmungen des Art. XXXVI der allgemeinen Volksabstimmung die Frage vorzulegen, ob die Bundesverfassung als Ganzes genehmigt oder abgelehnt wird.
Im Falle der Ablehnung durch die Mehrheit der giltig abgegebenen Stimmen hat die Bundesverfassung und das Ständehaus einen aus je Mitgliedern und ebensoviel Ersatzmännern bestehenden 37 - 16 -Ausschuss behufs Ausarbeitung eines neuen Verfassungsentwurfes zu bestellen, der binnen Jahresfrist dem Bundesrate Bericht zu erstatten hat. Kommt im Ausschusse mit einfacher Stimmenmehrheit sämtlicher Mitglieder ein neuer Entwurf zu Stande, so ist dieser der Volksabstimmung im Sinne des Art. XXXVI zu unterziehen; im gegenteiligen Falle hat der Bundesrat sofort allgemeine Neuwahlen der Bundesversammlung und des Ständehauses anzuordnen.
Die gegenwärtige Bundesverfassung bleibt dann so lange noch in Kraft, bis sie im Sinne des Art. XXXVI geändert wird.
Dieser Bericht geht von der Annahme aus, daß die Bundesverfassung ein von jedem einzelnen der 7 Länder: Vorarlberg, Tirol, Salzburg, Oberösterreich, Niederösterreich, Kärnten, Steiermark für sich und von der Nationalversammlung als Verweserin der Bundesstaatsidee freiwillig angenommenes Werk sein soll.
An Vergangenes konnte nicht angeknüpft werden, da die gesetzgebenden Staatsgewalten verschwunden sind ohne Rechtsnachfolger zu hinterlassen, so daß nur die Länder als verfassungsrechtlich festbestehende Einheiten und die von der Revolution geborene Nationalvertretung, die tatsächlich als Staatsgewalt heute innerhalb der Schranken der d.ö. Republik die höchste Gewalt neben den Ländern ausübt, als einander gleichberechtigte Körperschaften gegenüberstehen.
Die höchste Gewalt im Staate soll zwischen der Gesamtvertretung und der Vertretung der einzelnen Bundesglieder (der Länder und der aus jedem Landesverband gelösten Bundeshauptstadt Wien) geteilt werden, so zwar, daß jede dieser 2 verfassunggebenden Gruppen für ihren Zuständigkeitskreis die höchste Gewalt darstellt.
Der Vertretung des Bundesstaates, also dem Bunde, sollen einzeln aufgezählte Angelegenheiten zur ausschließlichen Behandlung in Gesetzgebung und Verwaltung zugewiesen werden (Art. XIV). Die Bundesglieder sind für alles das verfassungs- und verwaltungsrechtlich zuständig, was nicht in die namentlich aufgezählte Zuständigkeit des Bundes fällt, wobei auch vorgesorgt ist, daß Zuständigkeitsstreite auf dem Gebiete der Verfassung durch den Verfassungsgerichtshof ausgetragen werden (Art. XVI und XVII).
Es ist aber wünschenswert, ja zum Gedeihen des Staatswesens notwendig, daß die Verfassung geändert werden kann, wenn das Volk 39 2.als oberster Richter über sein eigenes Schicksal, übe sein Wohl und Wehe findet, daß die Teilung zwischen den Rechten des Bundes und den Rechten der Bundesglieder anders geartet sein soll, als wie sie der Entwurf vorsieht; die Aenderung der Verfassung soll aber nicht den regelmässigen Lauf der Gesetzgebungsmaschine überlassen sein, sondern es sollen für diesen Fall besondere Vorsichtsmaßregeln in Kraft treten, um so weit als möglich den wahren Willen des Volkes zu erforschen (Art. XXXVI, XXXVII).
Es empfiehlt sich nicht, den Bundesgliedern das Recht des Austrittes aus dem Staatsverbande für den Fall einer Verfassungsänderung vorzubehalten; ein so loser Verband, in Wahrheit nur ein Staatenbund, würde die vereinigten Länder im völkerrechtlichen und wirtschaftlichen Verkehr schwächen. Finden sich die 7 Länder zu einem Bundesstaate zusammen, so muß jedes Land einen Teil seiner Selbständigkeit dem Ganzen opfern, wofür es wieder als Glied des Bundesstaates größere Bedeutung im Weltverkehr und größere Sicherheit eintauscht.
Diese Stärke des Bundesstaates würde aber unheilbar geschwächt, wenn jedes Bundesglied im Falle einer Ueberstimmung in Verfassungsfragen (wie viele abseits der Verfassung liegende Angelegenheiten lassen sich optima fide in Verfassungsfragen umdeuten!) ausscheiden könnte. Innsbruck, 7.Oktober 1919. 40